Auf dem Weg am Brackwasser

Der Tag war zu heiß. Viel zu heiß!
Gleich kippe ich vom Fahrrad, dachte sich Martina. War ja auch eine tolle Idee gewesen, bei dem Wetter das Rad zu nehmen.
Schön das Wetter genießen, hatte sie sich gedacht. Du könntest mal wieder was für deine Figur tun, hatte sie sich gedacht.
Blöde Idee! So viel stand jetzt fest.
Sie hielt in der prallen Sonne auf dem Feldweg an, musste sich kurz erholen. Wenigstens hatte sie auf dem Gepäckträger ihren Stoffkorb dabei und eine frisch aus den Kühlschrank genommene Wasserflasche.
Sie stieg ab, klappte den Fahrradständer aus und griff nach der Flasche. Während sie in einer routinierten Bewegung und mit großem Krafteinsatz versuchte die Kappe von der Flasche zu drehen, erweckte etwas neben dem Weg ihre Aufmerksamkeit.
Sie war bereits ein Stück von etwa hundert Metern an einem alten Entwässerungsgraben entlang gefahren. Natürlich führte er aufgrund der hohen Temperaturen in den letzten Wochen wenig Wasser, vermutlich bewegte es sich überhaupt nicht. Auf beiden Seiten des Grabens wuchs jedoch hohes Gestrüpp, so dass der Zustand des Wasser schwer zu beurteilen war.
Was sich da eben bewegt hatte, versteckte sich jetzt in diesen Pflanzen.
Als eine Frau vom Lande, die es gewohnt war, dass auf der eigenen Terrasse regelmäßig Katzen, Füchse und Wildschweine “Guten Morgen” sagten, gab es für sie keinen Grund nervös zu sein oder gar Angst zu bekommen.
Sie machte einen Schritt auf den Wildwuchs zu, als sich endlich der Verschluss der Flasche in Bewegung setzte.
Ehe sie wusste wie ihr geschah, spritze es Fontänenartig auf ihr rosafarbenes Tank-Top.
Na toll!, dachte sie sich. Und dann: Obwohl, das ist echt toll!
Sie entfernte die Kappe vollständig und goss sich einen Schwall Wasser übers Gesicht und die Brust. Es kribbelte von der Kohlensäure zwischen ihren Brüsten und sie überlegte, ob sie schon einmal mit Sprudelwasser geduscht hatte. Sie konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern.
Sie führte die Flasche zum Mund, legte den Kopf in den Nacken und schloss dabei die Augen, um nicht zu sehr von der Sonne geblendet zu werden.
Von wegen Kühlschrankkalt, dachte sie sich. Vermutlich hätte die Flasche jetzt die selbe Temperatur, wenn sie bereits seit Sonnenaufgang im Licht gestanden hätte.
Sie verschloss die Flasche und senkte ihren Blick wieder. Nach einem weiteren Schritt war sie nun so nahe an den Pflanzen, wie sie es mit ihren nackten Unterschenkeln verantworten konnte, wenn sie sich keine Zecken einfangen wollte. Oder noch besser: Wie sie verantworten konnte, um nicht ins Leere zu tappen und kopfüber in den Graben zu fallen.
Also was war es nun, das sie gesehen hatte?
Nichts bewegte sich. Vielleicht war es auch nur eine Kröte gewesen, die bereits zurück in das Brackwasser gesprungen war. Ihr fiel auf, wie unangenehm es hier roch. Aber hier war man schließlich auf dem Land. Tümpel im Sommer und der Geruch von Tier gehörten hier eben her.
Resignierend drehte sie sich zum Fahrrad zurück und legte die Flasche in den Korb.
Da fiel ihr erneut etwas auf. Ziemlich direkt vor ihren Augen im Gestrüpp des Wassergrabens leuchtete es rot. Zu groß für eine Blume und zu intensiv für ein Tier.
Um besser herantreten zu können, schob sie das Rad ein Stück weiter.
Was war das? Ein Basecap?
Hatten die Teenies aus dem Dorf hier wieder Fange gespielt und dabei hatte es einer verloren?
Martina griff nach der Mütze und hob sie hoch.
Mit einem mal stob eine Wolke aus Fliegen auf. Martina schreckte so unkontrolliert zurück, dass sie ihr Gewicht nicht mehr halten konnte und hinten über fiel. Das Basecap landete ebenfalls auf dem Boden.
Unter der Mütze ist noch etwas helles gewesen. Etwas, das die Fliegen angezogen haben musste.
Ganz langsam stand Martina wieder auf und ging in Minischritten und mit weichen Knien nach vorn.
Noch ehe sie sehen konnte, um was es sich handelte, kamen Zweifel auf, ob sie wirklich nachsehen sollte.
Jetzt hab dich nicht so!, sprach eine leise Stimme in ihrem Kopf ihr Mut zu. Noch ein Stück vorlehnen und ihr Blick war frei.
Es dauerte einen weiteren Moment bis sie begriff, was sie da sah. Ein abscheulicher Schädel! Er grinste sie verkehrt herum an. Nach zurückgrinsen war ihr jedoch gerade nicht zu mute.
Sie bemerkte, wie die Pflanzen um den Schädel herum nicht so dicht waren, wie sonst überall. Fast als hielten sie Abstand. Vielleicht sollte sie das auch besser tun, Abstand halten?
Der Anblick war schaurig, abstoßend und faszinierend zu gleich. Es vergingen noch ein paar Sekunden bis Martina klar wurde, wodurch sich dieser Knochenkopf von jenem Unterschied, der früher im Biologieunterricht auf dem Rest des Schulskeletts trohnte: Dieser hier war nicht blank. Nicht einfach nur Knochen. Wo mal die Nase gewesen war, befanden sich noch Knorpelreste und auch am Rand des Kiefers waren noch so etwas wie die Überreste von Sehnen.
Martina stellte fest, wie ihr übel wurde.
Warum musste sie auch ausgerechnet hier eine Verschnaufpause einlegen?
Ihr Blick, immer noch auf die sterblichen Überreste des ehemaligen Basecapträgers gerichtet, wanderte ein Stück den Graben hinab. Zwischen allerlei Blättern und Gräsern, die von der Seite herüber wuchsen, konnte sie sehen, dass auch der Rest des Körpers noch an Ort und Stelle war, zum größten Teil von Wasser bedeckt
Das reichte ihr zu wissen.
Sie ging ein paar Meter an ihrem Fahrrad vorbei, den Feldweg entlang, noch unentschieden, ob sie sich nun übergeben musste oder nicht. Schnell atmend und mit rasendem Herz wusste sie nicht, was sie nun tun sollte. Ihr standen bereits Tränen in den Augen, die ihr die Sicht verschwimmen ließen, als sie zusammensank und unkontrolliert anfing zu schluchzen.
Da war es hin mit der taffen Ruhe vom Lande, die schon alles gesehen hatte.
Sie brauchte noch ein paar Minuten, um sich wieder zu fangen. Nachdem sie aufgestanden war, holte sie ihr kleines Handy aus der Hosentasche hervor und wählte die Nummer des Notrufs. Wenigstens hatte sie Empfang.
Martina wusste nach dem Telefonat nicht mehr, was sie eigentlich gerade gesagt hatte oder mit wem sie gesprochen hatte. Aber sie hatte das Gefühl verstanden worden zu sein.
Nun stand sie da, die Sonne strahlte sie unbeirrt an. Martina blickte an sich hinunter.
Ihr hellrosanes Top klebte an ihrem Körper und durch den dünnen Stoff konnte man ihre Brüste hindurch sehen. Und es kam noch besser.
Offenbar hatte sie sich vor Schreck in die Hosen gemacht.

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